Im Rahmen der Europawoche des Bundestages, die seit 2007 durch Initiative von Bundeskanzlerin Angela Merkel entstand, waren die Bundestagsabgeordneten der Region zu Gast im Berufskolleg in Erkelenz. Am Montag stellt sich der Bundestagstabgeordnete der CDU, Wilfried Oellers, der Debatte mit den Schülern. Den gleichen Schritt wagt am Dienstag Norbert Spinrath, der für die SPD im Bundestag sitzt.
Die Schülerinnen und Schüler des Beruflichen Gymnasiums haben sich gut vorbereitet und gehen in eine intensive Auseinandersetzung über strittige Themen. Da dies unweigerlich auch die rechtspopulistische Debatte über die EU berührt, nahmen Politiker und Schüler durchaus die Fragestellungen provozierend auf. „Auch wenn die Fragen klingen, als ob sie im rechten Lager formuliert wären, es liegt ein ernstes Problem zugrunde, das aber seriös behandelt werden kann“, so formuliert es Michael Wagner, Schüler der GM2, denn Debatte sei nicht gleich Debatte, aber schon gar nicht vereinfachende Stimmungsmache. Den Debattengedanken hatten sich die verantwortlichen Politiklehrer des BKE, Verena Gahr, Verena Jansen und Dr. Uwe Bilski, vorgenommen und ein neues Debattenformat überlegt, dass sie kurz „Speed Debating“ nennen. Kurzweilig, mit festen Redezeiten für alle, angelehnt an „Jugend debattiert“, so standen die Schüler einem Politiker gegenüber, um dessen Verständnis der EU auf den Prüfstand zu stellen.
Wilfried Oellers, der die CDU seit 2013 im Bundestag als Direktkandidat aus dem Kreis Heinsberg vertritt und der Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Bundestages ist, wird als erstes mit der Frage konfrontiert, ob der aufkeimende Rechtspopulismus eine Folge des vierzigjährigen Versagens der Politik der Europäischen Union sei. Oellers sieht nicht die EU als den Auslöser gesellschaftsfähiger rechter Gedanken, für ihn sind es die Einzelstaaten wie Polen und Ungarn. Diese bekommen die Empfindlichkeiten in ihrer nationalen Historie durch ihre politische Führung umgebaut zu einer antieuropäischen Haltung und zu nationalen Überbetonungen. Auch gerade der Brexit zeige, wie eine gepflegte Antihaltung gegenüber Europa die politische Zukunft der jungen Menschen und große Teile der Insel aufs Spiel setze. Nach Oellers könne die Jugendarbeitslosigkeit nur durch gesamteuropäische Anstrengungen überwunden werden, was auch bedeutet, Jugendliche durch Wahlen politisch zu aktivieren. Hätten alle jungen Briten gewählt, wäre uns vermutlich der Brexit erspart geblieben. Populismus sei hier eine Frage des Alters und die oberflächliche Betrachtung der EU.
Von den Schülern damit konfrontiert, dass in der Europäischen Union sich die sozialen Probleme von Osteuropa nach Westeuropa verschieben und Armut ein Kennzeichen von Staaten wie Bulgarien und Rumänien sei, widerspricht Oellers nicht. Aber er lehnt entschieden Forderungen rechtspopulistischer Strömungen ab, die eine Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit als Lösung sehen. Für den Arbeits- und Sozialpolitiker Oellers bedeutet Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht Sozialfreizügigkeit. Hier sei die deutsche Gesetzgebung in der Verantwortung, nicht eine vermeintlich notwendige Regulation durch die EU.
Fördert die Europäische Union das organisierte Verbrechen osteuropäischer Banden? Norbert Spinrath, Europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, aus dem Polizeidienst kommend und als Polizeigewerkschafter europäisch aktiv, vermag die seit der Osterweiterung 2004 einseitigen Blicke auf die Kriminalstatistik nicht hinnehmen. Unstrittig sei der Anstieg von Eigentums- und Gewaltdelikten, aber auch müsse erkannt werden, dass Polizeiarbeit zu einem momentanen Rückgang der Delikte führe, auch dürfe nicht übersehen werden, dass mehr als 70% der Taten von Deutschen verübt würden. Niklas Ellerbrock will von Spinrath wissen, ob die jetzt in der Diskussion stehende Schleierfahndung , also die verdachtsunabhängige Personenkontrolle, ein Mittel für eine noch bessere Polizeiarbeit sei. Dieses bayrische Konstrukt stelle für NRW keine Notwendigkeit dar, so Spinrath, denn die Polizei habe genügend Instrumente zur Hand, angemessen und erfolgreich zu intervenieren. Spinrath lenkt noch einmal den Blick auf die stärkste Waffe im Umgang mit Kriminalität, erfolgreiche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, damit Armut als der größte Nährboden für Verbrechen wegfalle. Hier sieht Oliver Tillmanns noch ein ungelöstes Problem, er verweist darauf, dass in Bulgarien jemand als arm gilt, der im Jahr mit 1.100€ auskommen muss, in Deutschland hingegen liegt die Grenze bei 10.000€. Spinrath möchte diese Betrachtung um die Einbeziehung der landestypischen Kaufkraft ergänzt wissen, leitet aber zusätzlich aus dem Ost-Westgefälle die Forderung nach einem Aufbau eines europäischen Sozialsystems als notwendig ab, genauso wie den Kampf gegen Dumpinglöhne. Und als vorsichtige Empfehlung an andere europäische Länder regt er einen kleinen Blick auf das duale System in Deutschland an, das eine starke Exportindustrie erst ermöglicht habe.
Insgesamt sehen die Schülerinnen und Schüler des Beruflichen Gymnasiums des Berufskollegs ihre kritische, aber auch ihre positive Sicht des EU-Europas gestützt und durch die Politiker vertreten. Wichtig ist für sie der Austausch mit den Verantwortlichen von Politik, die fern von Fernsehen, Internet und sozialen Netzwerken ihre Überzeugung kritisch hinterfragen lassen.
Schulleiter Jan Pfülb sieht es als gelungene Initiative des Bundestages, seine Abgeordneten in die Schulen zu schicken und dort jene politische Arbeit zu leisten, die für eine funktionierende Demokratie so unerlässlich ist.
Die angefügten Photos:
IMG_6298: Julie Kranz und Marius Major debatieren mit Wilfried Oellers, MdB
IMG_6309: Michael Wagner und Niklas Ellerbrock debattieren mit Norbert Spinrath, MdB
IMG_6347: Marc Kahle und Lukas Dürselen debattieren mit Norbert Spinrath, MdB